Der Impuls durch Magdalenaemia hat mich zu folgenden Gedanken gebracht und ich schreibe diesen Artikel – wie so oft – nicht als Unbeteiligte. Ich habe das Glück, in einem Land zu leben, in dem ich arbeiten, mich frei äußern und für meine Rechte einstehen darf. Doch dieses Privileg verpflichtet mich, die Ungerechtigkeiten anzusprechen, die andere – besonders Frauen – hier erleben. Menschen, die geflohen sind vor Krieg, Hunger oder geschlechtsspezifischer Gewalt und deren Stärke, allein zu überleben, uns inspirieren sollte. Doch was erleben sie in Deutschland? Ausbeutung. Diskriminierung. Entmenschlichung. Und wir lassen es geschehen.
Die Realität hinter den 80-Cent-Jobs
Stell dir vor, du fliehst aus einem Land, in dem du alles verloren hast. Deine Familie, dein Zuhause, vielleicht sogar deinen Glauben an die Menschheit. Du landest in einem fremden Land und hoffst auf ein Stück Würde, den „die Würde des Menschen ist doch unantastbar“, oder? Doch statt Hilfe und Respekt erwartet dich ein System, das dich klein hält. Du darfst nicht arbeiten, nicht für dich selbst sorgen, keine Zukunft aufbauen. Stattdessen zwingt man dir Jobs für 80 Cent die Stunde auf – Tätigkeiten, die nicht als „richtige Arbeit“ gelten, obwohl sie das Fundament unserer Gesellschaft stützen.
Reinigen, pflegen, versorgen – das sind die Tätigkeiten, die man Asylsuchenden, vor allem Frauen, zuschreibt. Sie sollen unsichtbar sein, ihre Hände einsetzen, aber bloß nicht auf die Idee kommen, ihre Stimme zu erheben. Menschen, die um ihr Leben gekämpft haben, werden in eine Rolle gedrängt, die nur eines vermittelt: Du bist weniger wert.
Diese spezielle Grausamkeit gegenüber Frauen
Frauen, die nach Deutschland fliehen, bringen oft tiefe Wunden mit. Sie wurden misshandelt, ausgenutzt, erniedrigt. Sie haben Ehemänner, Brüder oder Väter verloren. Viele sind mit ihren Kindern unterwegs, allein und schutzlos. In Deutschland könnten sie aufatmen, sich erholen, aufbauen. Doch was passiert stattdessen?
Das System weist ihnen Aufgaben zu, die sie in traditionelle Geschlechterrollen drängen: putzen, kochen, aufräumen. „Gemeinnützig“, nennt man das. Doch in Wirklichkeit ist es die billigste Form der Arbeit, ohne Schutz, ohne Rechte. Für Frauen ist diese Ausbeutung besonders brutal, weil sie wieder in einer Position landen, in der andere über ihr Leben bestimmen. Wieder ohne Kontrolle. Wieder ohne Wert.
Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich selbst in dieser Situation wäre. Meine Erfahrungen als „Risikoschwangere“, die vor lauter Schutz für 1,50€ als Verkäuferin in einem Kleidertreff fünf Tage arbeiten gegangen ist, reichen da mit diesem privilegierten Hintergrund nicht aus. Was, wenn ich meinem Kind jeden Tag in die Augen sehen müsste und wüsste, dass ich ihm keine Zukunft bieten kann? Was, wenn ich für meine Familie kämpfen wollte, aber meine Stimme verstummt, weil niemand zuhört? Diese Frauen haben den Mut gefunden, alles hinter sich zu lassen – und werden doch wieder zum Schweigen gebracht.
Ich bin Teil des Problems
Das System der 80-Cent-Jobs ist keine Randerscheinung. Es ist Ausdruck eines größeren Problems: einer Gesellschaft, die Menschen in Kategorien aufteilt. Geflüchtete gehören in die Kategorie „Hilfsbedürftige“. Frauen in die Kategorie „Helferinnen“. Diese Kategorien sind nicht zufällig, sondern politisch gewollt. Sie erlauben es, Menschen auszubeuten und zu kontrollieren, ohne dass wir – die Privilegierten – uns schlecht fühlen müssen.
Als Frau sehe ich eine zusätzliche Ebene der Ungerechtigkeit. Frauen, die aus patriarchalen Systemen fliehen, landen in Deutschland in einem System, das ihnen neue Grenzen setzt. Sie dürfen nur existieren, wenn sie nützlich sind, sich nicht auflehnen, nicht fordern. Das ist keine Integration. Das ist systematische Unterdrückung.
Es reicht nicht, sich nur über diese Ungerechtigkeit zu empören. Wir müssen handeln. Feministische Solidarität bedeutet, für die Rechte aller Frauen einzutreten, egal woher sie kommen. Es bedeutet, hinzusehen, wenn Frauen in unserem Land ausgebeutet werden, und laut zu werden, wenn wir Unrecht sehen.
Asylsuchende Frauen haben keinen Zugang zu den Ressourcen, die ich und viele andere genießen. Sie haben keine Netzwerke, keine Möglichkeit, auf ihre Rechte zu pochen, keine Stimme in der Öffentlichkeit. Unsere Stimme muss ihre Stimme werden.
Wir dürfen nicht vergessen, dass Frauen, die für 80 Cent die Stunde arbeiten, nicht nur Opfer eines Systems sind – sie sind Kämpferinnen. Jede Stunde, die sie durchhalten, jede Aufgabe, die sie bewältigen, zeigt eine Stärke, die uns alle beschämen sollte. Sie haben Stärke bewiesen, indem sie ihre Heimat verlassen haben. Jetzt brauchen sie Solidarität von uns, die das Glück hatten, in einem System aufzuwachsen, das uns Chancen gibt.
Was wir tun können?
1. Wir müssen darüber sprechen: Die 80-Cent-Jobs und die Ausbeutung von Asylsuchenden sind kein Nischenthema. Sprich in deinem Umfeld darüber, teile Artikel und Berichte, um das Bewusstsein zu schärfen.
2. Fordere politische Veränderung: Unterstütze Initiativen und Organisationen, die sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzen. Schreibe an Politiker*innen, setze dich für eine Reform der Asylgesetze ein.
3. Sei aktiv: Engagiere dich in deiner Gemeinde oder Organisationen, die Asylsuchenden helfen. Gib diesen Frauen die Möglichkeit, zu wachsen und ihre Stimmen zu erheben.
4. Stärke den Feminismus: Feministische Bewegungen müssen global denken. Geflüchtete Frauen sind Teil unseres Kampfes für Gleichberechtigung. Ihre Geschichten sind unsere Geschichten.
Von Privilegien zur Verantwortung
Ich schreibe diesen Artikel, weil ich weiß, wie privilegiert ich bin. Ich habe meine Kämpfe, aber ich hatte immer Ressourcen und die Möglichkeit, aufzustehen. Diese Frauen, die für 80 Cent die Stunde arbeiten, haben diese Möglichkeit nicht. Es liegt an uns, das zu ändern.
Wenn wir von Feminismus sprechen, dann dürfen wir nicht vergessen, dass Gleichberechtigung alle Frauen umfasst – nicht nur die, die in unseren Netzwerken sichtbar sind. Geflüchtete Frauen brauchen Solidarität, keine Almosen. Sie brauchen Chancen, keine Zwänge. Sie brauchen Würde, keine 80 Cent.
Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass diese Stimmen nicht mehr überhört werden. Wir können es besser. Wir müssen es besser machen.
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