Erst vor wenigen Tagen berichtete ich in dem Artikel „Schulfach Patriarchat“ die bedrückende Erfahrung meiner Tochter, die in der Schule Opfer von Übergriffen durch einen Mitschüler wurde. Der jüngste Fall der 9-jährigen Ayşegül aus Duisburg zeigt, dass solche Ereignisse kein Einzelfall sind. Am 12. November 2024 erlitt Ayşegül auf dem Schulhof ihrer Grundschule eine brutale Attacke durch einen 15-jährigen Schüler. Dieser Vorfall, mitten am Tag und vor den Augen ihrer Mitschüler, rüttelt nicht nur Duisburg, sondern ganz Deutschland auf. Ayşegül befindet sich glücklicherweise auf dem Weg der Besserung, doch die psychischen Wunden werden sie noch lange begleiten.
Die Parallelen: Was meine Tochter und Ayşegül erleben mussten
Die Erlebnisse meiner Tochter und der Fall Ayşegül verdeutlichen ein systemisches Problem: Schulen versagen häufig dabei, Kinder vor Gewalt zu schützen. Die Erfahrungen meiner Tochter – angefangen bei herablassenden Bemerkungen bis hin zu körperlichen Übergriffen – zeigen, wie oft Institutionen wegsehen, anstatt zu handeln. Trotz mehrfacher Anzeigen bei der Polizei und zahlreichen Gesprächen mit der Schule blieb die Situation unverändert. Es bleibt die Frage: Wie kann so etwas in einem Land geschehen, das Kinderrechte so hochhält?
Gewalt an Schulen: Ein weit verbreitetes Problem
Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung (2022) erleben über 30 % der Schüler:innen in Deutschland während ihrer Schulzeit körperliche oder verbale Gewalt durch Mitschüler:innen. Noch alarmierender ist, dass fast 10 % der Schülerinnen und Schüler regelmäßig Mobbing ausgesetzt sind. Diese Zahlen zeigen, dass es sich nicht nur um Einzelfälle handelt, sondern um ein systemisches Problem, das tief in unserem Schulsystem verankert ist.
Die Folgen für betroffene Kinder: Langfristige Schäden
Die Techniker Krankenkasse (2021) fand heraus, dass Kinder, die Mobbing oder Gewalt erfahren, ein höheres Risiko für psychische Probleme wie Depressionen und Angststörungen haben. Über 50 % der betroffenen Kinder entwickeln langfristig Symptome, die ihre schulische Leistung und persönliche Entwicklung beeinträchtigen.
Eine Studie der Universität Bielefeld (2023) zeigte, dass Mädchen besonders gefährdet sind. 48 % der befragten Mädchen gaben an, dass sie sich aufgrund von Übergriffen in der Schule unsicher fühlen. Diese Unsicherheiten untergraben ihr Selbstbewusstsein und beeinträchtigen ihre schulische Entwicklung.
Patriarchale Strukturen und die Untätigkeit der Institution
Leider spiegeln sich patriarchale Strukturen auch in Schulen wider. Jungen lernen oft, dass Dominanz und Durchsetzungsvermögen positive Eigenschaften sind, während Mädchen Gehorsam und Anpassung nahegelegt wird. Schulen reagieren häufig unzureichend auf Gewaltvorfälle, insbesondere wenn es Mädchen betrifft. Eine Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts (2022) zeigte, dass nur 20 % der gemeldeten Vorfälle konsequent von Schulen aufgearbeitet werden. Das erschütternde Ergebnis: Betroffene Mädchen wie Ayşegül und meine Tochter fühlen sich allein gelassen und verlieren das Vertrauen in die Schutzfunktion der Schule.
Warum wir jetzt handeln müssen
Es reicht nicht, sich auf die bürokratischen Mühlen zu verlassen oder darauf zu hoffen, dass Institutionen von selbst handeln. Es liegt an uns – Eltern, Lehrer, Schulbehörden und der Gesellschaft – jetzt aktiv zu werden. Hier sind konkrete Maßnahmen, die notwendig sind, um unseren Kindern eine sichere Schulzeit zu ermöglichen:
1. Klare und verbindliche Schutzkonzepte an Schulen: Jede Schule benötigt verbindliche Protokolle für den Umgang mit Gewalt und Mobbing. Diese Maßnahmen müssen sowohl präventiv als auch reaktiv sein, damit Übergriffe konsequent sanktioniert werden.
2. Prävention durch Aufklärung: Bereits in der Grundschule müssen Kinder lernen, was persönliche Grenzen sind und wie sie diese verteidigen können. Programme zur Gewaltprävention und Anti-Mobbing-Workshops sollten fest im Lehrplan verankert sein.
3. Stärkung der Lehrkräfte: Schulen müssen ihre Lehrkräfte regelmäßig schulen, damit sie Übergriffe frühzeitig erkennen und schnell handeln können. Nur durch klare Handlungsanweisungen können Lehrer angemessen reagieren.
4. Eltern und betroffene Kinder ernst nehmen: Eltern, die Missstände melden, müssen ernst genommen und unterstützt werden. Die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Eltern sollte transparent und auf Vertrauen basieren.
Ein Weckruf: Für die Zukunft unserer Kinder
Jede dritte Familie in Deutschland hat bereits Erfahrungen mit Mobbing oder Gewalt in Schulen gemacht. Schulen klären jedoch nur 20 % der Vorfälle konsequent auf, wie eine Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts zeigt. Das ist nicht akzeptabel. Wir müssen sicherstellen, dass 100 % der Schulen klare Richtlinien zur Prävention und Aufarbeitung solcher Vorfälle haben.
Wir dürfen die Sicherheit unserer Kinder nicht dem Zufall überlassen. Jeder Vorfall wie der von Ayşegül sollte uns alarmieren. Lasst uns gemeinsam dafür kämpfen, dass Schulen wieder zu dem Schutzraum werden, der sie sein sollten. Unsere Kinder verdienen eine unbeschwerte Schulzeit, in der sie sich sicher und geschützt fühlen – eine Zeit, die ihnen die Chance bietet, zu wachsen und zu lernen, ohne Angst zu haben.
Denn die Schule sollte ein Ort der Chancen sein – nicht ein Ort, an dem unsere Kinder lernen müssen, sich selbst zu verteidigen.