Warum nehmen so viele Menschen politische Entscheidungen nur hin, ohne sie zu hinterfragen? Warum fühlen wir uns oft ohnmächtig gegenüber großen Systemen wie der Politik, der Wirtschaft oder sogar unserem Arbeitsplatz? Diese Fragen sind eng mit einem Konzept verbunden, das unsere Denkweise und unsere Handlungsspielräume grundlegend beeinflusst: dem Locus of Control.
Während ein interner Locus of Control beschreibt, dass Menschen ihr Leben als Ergebnis eigener Entscheidungen und Handlungen sehen, glauben Menschen mit einem externen Locus of Control, dass äußere Kräfte – sei es Glück, Autoritäten oder gesellschaftliche Strukturen – ihre Lebensumstände bestimmen. Dieser Unterschied hat nicht nur individuelle Konsequenzen, sondern prägt Gesellschaften, Machtverhältnisse und politische Systeme.
Doch woher kommt dieser Glaube an äußere Kontrolle? In vielen Fällen wird er uns unbewusst anerzogen. Die Art, wie wir in Kindheit und Schule sozialisiert werden, legt den Grundstein für diese Haltung. Dieses Zusammenspiel von Erziehung, sozialen Strukturen und politischen Auswirkungen wollen wir hier vertiefend betrachten.
Wie der externe Locus of Control in der Kindheit gefördert wird
1. Die Hierarchien der Kindheit
Die meisten Bildungssysteme und Erziehungsmodelle sind streng hierarchisch aufgebaut. Lehrer*innen und Eltern agieren als Autoritäten, die Regeln setzen und Entscheidungen treffen, während die Kinder diese befolgen müssen.
Das Lernen von Gehorsam: Kinder lernen, dass Autoritäten Recht haben – auch ohne Begründung. In vielen Schulsystemen werden Regelbefolgung und Anpassung höher bewertet als Kreativität oder Eigenständigkeit. Ein Kind möchte ein Bild malen, das von der Aufgabenstellung abweicht, und wird dafür kritisiert. Die Botschaft lautet: „Deine eigenen Ideen sind zweitrangig, wichtiger ist, dass du tust, was dir gesagt wird.“
2. Belohnung und Bestrafung
Schon früh wird unser Verhalten durch äußere Belohnungen und Bestrafungen gesteuert: gute Noten, Lob oder Tadel. Diese Mechanismen verstärken die Vorstellung, dass Erfolg und Anerkennung von äußeren Instanzen abhängen. Sie verinnerlichen, dass ihre Handlungen nur dann „richtig“ sind, wenn sie von außen positiv bewertet werden. Sie entwickeln keine intrinsische Motivation, sondern eine Abhängigkeit von externer Kontrolle. Ein Schüler, der eine kreative Lösung für ein Problem findet, wird schlechter bewertet, weil er nicht der „korrekten Methode“ gefolgt ist. Er lernt: „Nur Anpassung wird belohnt.“
3. Leistungsdruck und Vergleich
Das Streben nach Leistung wird oft durch Vergleich gefördert. Kinder lernen, dass sie „besser sein müssen“ als andere, um erfolgreich zu sein. Dabei wird ihr Selbstwert an Noten, Tests und äußeren Bewertungen gemessen. Dieser Fokus auf äußeren Erfolg fördert nicht nur einen externen Locus of Control, sondern auch Stress und Angst vor Versagen. Ein Schüler, der wiederholt erlebt, dass seine Anstrengungen nicht ausreichen, entwickelt das Gefühl, dass Erfolg hauptsächlich von Glück oder äußeren Umständen abhängt.
4. Fehlende Mitgestaltung
In traditionellen Bildungssystemen haben Kinder selten die Möglichkeit, ihren Lernprozess aktiv mitzugestalten. Entscheidungen über Lerninhalte, Methoden und Bewertungen werden von außen vorgegeben. Sie bekommen gelehrt, dass sie nur passiv am System teilnehmen können. Die Vorstellung, dass sie aktiv Einfluss nehmen könnten, wird nicht gefördert. In offenen Konzepten wie Montessori-Schulen, wo Kinder ihre Lernziele selbst setzen und Entscheidungen treffen dürfen, wird ein interner Locus of Control gestärkt.
Langzeitfolgen
Die Prägung in der Kindheit hat langfristige Auswirkungen auf das Verhalten und die Überzeugungen im Erwachsenenalter. Diese Folgen zeigen sich in unterschiedlichen Lebensbereichen:
1. Persönliche Beziehungen
Menschen mit einem externen Locus of Control sind oft abhängig von der Bestätigung durch andere. Sie neigen dazu, Verantwortung für Konflikte oder Entscheidungen an ihre Partner:innen abzugeben. In einer Beziehung erwartet eine Person, dass der Partner ihre Probleme löst, weil sie selbst glaubt, keinen Einfluss auf die Situation zu haben.
2. Berufliche Entwicklung
Menschen mit einem externen Locus of Control neigen dazu, Risiken zu vermeiden und sich stärker auf die Anweisungen ihrer Vorgesetzten zu verlassen. Ein Angestellter bleibt in einem unbefriedigenden Job, weil er glaubt, dass äußere Umstände – etwa die Wirtschaftslage – ihn daran hindern, etwas zu ändern.
3. Gesellschaftliches Engagement
Menschen mit einem externen Locus of Control fühlen sich oft machtlos gegenüber politischen oder gesellschaftlichen Systemen. Sie gehen seltener wählen oder engagieren sich in sozialen Bewegungen. Eine Bürger:in sagt: „Was bringt es, wählen zu gehen? Politiker machen sowieso, was sie wollen.“
4. Umgang mit Krisen
In globalen Krisen wie dem Klimawandel kann ein externer Locus of Control zu Resignation führen: „Was kann ich als Einzelne*r schon tun?“ Kollektives Handeln wird erschwert, da viele Menschen ihre eigene Wirksamkeit unterschätzen.
Politische Auswirkungen: Der externe Locus of Control als Werkzeug der Macht
1. Akzeptanz von Autoritarismus
Menschen mit einem externen Locus of Control vertrauen stärker auf autoritäre Führungsfiguren, die einfache Lösungen anbieten. Sie hinterfragen Entscheidungen seltener und akzeptieren repressive Maßnahmen wie Überwachung oder Einschränkungen von Bürgerrechten.
2. Förderung von Populismus
Populistische Bewegungen nutzen die Neigung zur Schuldzuweisung an äußere Faktoren. Sie schaffen Feindbilder – etwa „die Elite“ oder „die Migranten“ – und präsentieren sich als Retterfiguren.
3. Schwächung der Demokratie
Demokratie lebt von einer aktiven, engagierten Bürgerschaft. Wenn viele Menschen glauben, keinen Einfluss zu haben, sinken Wahlbeteiligung und politisches Engagement.
4. Rolle der Medien und Technologie
Medien verstärken oft den externen Locus of Control, indem sie Krisen dramatisieren und Angst schüren. Digitale Algorithmen fördern passives Konsumverhalten und isolieren Menschen in Filterblasen.
Was getan werden kann: Wege aus der Passivität
1. Reform der Bildungssysteme
Bildung muss Kindern die Möglichkeit geben, Verantwortung zu übernehmen und eigene Entscheidungen zu treffen. Beispiele wären projektbasiertes Lernen, Schülerparlamente und weniger Gewicht auf Noten.
2. Politische Bildung und Empowerment
Politische Bildungsprogramme sollten zeigen, wie Menschen Einfluss auf ihre Gesellschaft nehmen können. Bewegungen wie Fridays for Future beweisen, dass Einzelne einen Unterschied machen können.
3. Förderung von Selbstwirksamkeit
Praktische Ansätze wie das Setzen und Erreichen kleiner Ziele können helfen, ein Gefühl der Kontrolle zurückzugewinnen.
4. Medienkompetenz
Menschen müssen lernen, Informationen kritisch zu hinterfragen und bewusster mit digitalen Medien umzugehen.
Ein externer Locus of Control wird uns oft unbewusst anerzogen – durch Bildung, Medien und gesellschaftliche Strukturen. Doch das bedeutet nicht, dass wir diesen Zustand akzeptieren müssen. Durch gezielte Veränderungen können wir lernen, unsere eigene Macht und Verantwortung zu erkennen.
Wikipedia: Kontrollüberzeugung
[…] liegt tiefer – in der Frage, wie du die Kontrolle über dein Leben wahrnimmst. Hier setzt der Locus of Control an, und genau dort entfaltet das Patriarchat seine […]