„Vielleicht würden sich Männer nicht so bedroht oder vom Feminismus entmannt fühlen, wenn ihre Männlichkeit in etwas anderes verwurzelt wäre, als in der Unterdrückung von Frauen.“
Seit ich diesen Satz von Sara gehört habe, lässt er mich nicht los. Er nagt an mir, löste eine Art leises Grollen in meinem Inneren aus. Eine Mischung aus Schmerz und Verständnis – als hätte ich plötzlich eine unsichtbare Mauer durchschaut, die ich zwar mein Leben lang gespürt, aber nie so klar benennen konnte.
Es ist doch erstaunlich, wie tief die Verstrickungen von Macht und Identität gehen, nicht wahr? Als Frauen kennen wir diese Machtverhältnisse nur zu gut. Wir spüren sie, oft wie einen schweren Mantel, den wir nie wirklich ablegen können. Doch bei diesem Satz geht es um mehr als nur um die Unterdrückung von Frauen. Er spricht etwas Tieferes an, etwas, das uns allen, Männern wie Frauen, so sehr im Nacken sitzt, dass wir es gar nicht mehr hinterfragen: die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft Männlichkeit definiert.
Die Zerbrechlichkeit der traditionellen Männlichkeit
Es beginnt früh, oft viel früher, als wir denken. Noch bevor ein Junge richtig laufen kann, wird ihm – oft unbewusst – beigebracht, dass Weinen eine Schwäche ist, dass man „stark sein muss“ und dass Gefühle etwas sind, was man unterdrückt. Wie viele von uns haben nicht selbst erlebt, wie Jungen bestraft werden, wenn sie zu „weich“ sind? Manchmal nur mit einem Blick, einem höhnischen Lachen. „Sei kein Mädchen“, „Männer weinen nicht“ – als wäre Verletzlichkeit eine Krankheit, eine Schande.
Männer werden in eine Welt hineingeboren, die sie zwingt, stark, dominant und unnachgiebig zu sein. Ihre Identität wird an einem Konzept festgemacht, das auf Kontrolle und Macht basiert – besonders über Frauen. Was passiert, wenn diese Grundlage plötzlich infrage gestellt wird, der Feminismus auftaucht und Gleichberechtigung fordert? Plötzlich bricht dieses fragile Konstrukt zusammen, und was bleibt, ist Angst. Die Angst, das zu verlieren, was ihnen doch angeblich Männlichkeit gibt. Angst, entmannt zu werden.
Der Feminismus als Bedrohung – oder Befreiung?
Ich frage mich, wie anders unsere Welt wäre, wenn Männer verstehen könnten, dass der Feminismus nicht gekommen ist, um ihnen etwas wegzunehmen. Dass es nicht um Rache geht, nicht um Vergeltung. Sondern um eine Welt, in der wir alle freier sein können – auch sie.
Doch das Problem ist: Wenn Männlichkeit auf der Unterdrückung von Frauen beruht, dann fühlt sich jede Bewegung in Richtung Gleichberechtigung wie eine Bedrohung an. Als würde man einem kleinen Kind sein Lieblingsspielzeug wegnehmen. Was bleibt dann noch? Eine Leere, eine Unsicherheit. Und diese Unsicherheit ist gefährlich, denn sie wird oft mit Gewalt und Aggression beantwortet.
Wie viele Frauen kenne ich – und vielleicht gehörst auch du dazu -, die ihre Stimmen gedämpft, ihre Träume zurückgehalten haben, weil sie wussten: Ein Mann fühlt sich schnell bedroht, wenn er das Gefühl hat, nicht mehr „Herr der Lage“ zu sein. Wie oft haben wir uns kleiner gemacht, damit er sich größer fühlt? Haben unsere Bedürfnisse zurückgestellt, um sein Ego zu streicheln? Das ist die unsichtbare, stille Gewalt, die uns Tag für Tag dazu zwingt, in uns selbst zurückzuweichen.
Das Problem liegt in einem tief verankerten „Zero-Sum“-Denken, also der Vorstellung, dass, wenn eine Gruppe gewinnt, die andere zwangsläufig verliert. Viele Männer, die ihre Männlichkeit traditionell mit Macht und Kontrolle verbinden, empfinden feministische Fortschritte deshalb als Bedrohung.
Das führt mich zu einem anderen, dunkleren Thema: der „Rape Culture“. Wenn Männlichkeit über Kontrolle definiert wird, wird die sexuelle Eroberung oft als Beweis der eigenen Männlichkeit gesehen. Das Resultat? Eine Kultur, die sexuelle Gewalt normalisiert und sie als nahezu „natürliche“ Folge männlicher Triebe darstellt. Wenn Männer glauben, dass ihre Männlichkeit an ihre Fähigkeit zur Kontrolle – insbesondere über Frauen – geknüpft ist, fühlen sie sich zutiefst bedroht, wenn diese Kontrolle infrage gestellt wird. Solange ein „Nein“ als Einladung verstanden wird, als Herausforderung, leben wir in einer Welt, in der auch Männer nicht frei sein könnten.
Was, wenn Männlichkeit auf etwas anderem basieren könnte?
Was wäre, wenn wir Männlichkeit neu definieren könnten? Wenn sie nicht mehr auf Dominanz und Kontrolle beruhen müsste? Stell dir vor, sie könnten ihre Identität auf etwas aufbauen, das nicht an die Unterdrückung anderer geknüpft ist. Was, wenn Männlichkeit bedeuten könnte, empathisch zu sein, für andere da zu sein, ohne dabei an Stärke zu verlieren?
Wir sehen diese Art von Männlichkeit bereits – wenn auch noch selten – in progressiven Bewegungen, in der Popkultur, bei Männern, die sich trauen, ihre Gefühle zu zeigen. Doch diese Männer werden, noch heute, verspottet, als „weich“ oder „unmännlich“ bezeichnet. Warum? Weil sie das System in Frage stellen, das seit Jahrtausenden Bestand hat.
Der Preis, den wir alle zahlen
Ich zögere dabei, kann jedoch verstehen, dass das Patriarchat nicht nur uns Frauen schadet, sondern auch den Männern. Es zwingt sie in ein Korsett aus Erwartungen, das so eng ist, dass sie kaum atmen können. Die Selbstmordraten bei Männern sind erschreckend hoch, die Burnout-Raten ebenso. Warum? Weil sie von klein auf lernen, ihre Gefühle zu unterdrücken, ihre Bedürfnisse zu verleugnen, um dieser toxischen Version von „Männlichkeit“ gerecht zu werden.
Ein persönlicher Wunsch
Manchmal wünsche ich mir, ich könnte all die Männer, die sich vom Feminismus bedroht fühlen, sanft an der Hand nehmen und ihnen zeigen, dass sie nichts zu verlieren haben. Dass die Welt nicht weniger hell wird, wenn wir Frauen mehr strahlen dürfen. Im Gegenteil: Wenn wir alle zusammen leuchten, wird es nur heller.
Doch bis dahin müssen wir weiterkämpfen. Für uns selbst, für unsere Töchter und ja, auch für unsere Söhne. Denn am Ende wollen wir alle nur eins: Eine Welt, in der wir frei atmen können. In der wir uns nicht kleiner machen müssen, um dem anderen Raum zu geben. Eine Welt, in der wir als Menschen, nicht als Geschlechter, existieren dürfen.
Vielleicht ist das naiv. Vielleicht ist es utopisch. Aber ich glaube, dass es möglich ist. Und wenn du bis hierhin gelesen hast, dann glaube ich, dass auch du es für möglich hältst.
Und das gibt mir Hoffnung.
Der Feminismus ist keine Bedrohung für Männer, sondern eine Chance für uns alle, aus alten, toxischen Strukturen auszubrechen. Wenn wir es schaffen, Männlichkeit neu zu definieren, könnten wir gemeinsam eine Welt schaffen, in der niemand mehr unterdrückt wird – auch nicht die Männer, die sich selbst in ihren Rollen gefangen fühlen.
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