Gewalt ist das älteste Werkzeug der Menschheit. Sie begann, als wir uns den ersten Stein griffen, um zu überleben, und sie hat uns seitdem nie wirklich verlassen. Doch sie ist nicht nur das Blutige, das Brutale, das Offensichtliche. Sie ist subtiler. Sie lebt in unserer Sprache, in unseren Blicken, in unseren Gedanken. Und sie ist nicht nur „da draußen“. Gewalt beginnt immer in uns.
Was wäre, wenn du Gewalt lebst?
Bevor du diesen Satz ablehnst, lass ihn wirken. Gewalt ist nicht nur das, was andere uns antun. Es ist auch das, was wir uns selbst antun. Jede Abwertung, jedes „Ich bin nicht gut genug“, jede unbedachte Kritik an uns selbst oder anderen ist ein Samen der Gewalt. Sie ist nicht nur eine Tat, sie ist eine Haltung, eine Perspektive, ein Ungleichgewicht.
Aber woher kommt sie? Warum tragen wir sie in uns? Die Antwort ist so einfach wie unbequem: Gewalt ist die Sprache eines Systems, das auf Angst basiert.
Eine Reaktion
Gewalt ist nicht einfach „böse“. Sie ist eine Reaktion. Eine Reaktion auf Ohnmacht, Angst, Kontrollverlust. Wenn wir uns bedroht fühlen – sei es durch andere, durch Veränderungen oder durch uns selbst -, greifen wir zu Gewalt. Das kann ein wütender Blick sein, ein verletzendes Wort, oder – in ihrer extremsten Form – ein physischer Angriff.
Doch Gewalt ist nicht das Gegenteil von Frieden. Sie ist das Gegenteil von Vertrauen. Vertrauen in uns selbst, in andere, in die Welt. Sie entsteht, wenn Vertrauen zerbricht. Wenn wir glauben, wir müssten kämpfen, um zu überleben. Wenn wir denken, wir wären allein.
Sie versteckt sich. Sie trägt Masken, die uns vertraut sind, die uns normal erscheinen. Mikrogewalt, Strukturelle Gewalt, Sprache, Schweigen – all das sind Formen von Gewalt, die wir oft nicht als solche erkennen.

Ein Spiegel zu Uns
- Wie oft kritisierst du dich, ohne es zu hinterfragen?
- Wie oft glaubst du, du seist nicht genug – nicht klug genug, nicht schön genug, nicht stark genug?
Diese Gedanken sind Formen der inneren Gewalt. Sie zwingen uns in Muster, die uns kleinhalten, uns lähmen.
Gewalt in Beziehungen
Der subtile Vorwurf, der ungesagte Schmerz, das Schweigen, das mehr sagt als Worte – das sind die alltäglichen Waffen, die wir in Beziehungen benutzen. Sie entspringen dem Wunsch, gehört, gesehen und geliebt zu werden, doch sie erzeugen das Gegenteil.
Gewalt in der Gesellschaft
Eine Gesellschaft, die auf Konkurrenz basiert, erzeugt Gewalt. Sie sagt uns: „Du bist nicht sicher, du musst kämpfen.“ Diese Botschaft findet ihren Weg in unsere Arbeit, unsere Medien, unsere Politik – und letztlich in uns.
Was verändert etwas?
Veränderung beginnt nicht mit Gesetzen oder Kampagnen. Sie beginnt dort, wo Gewalt geboren wird: in uns selbst. Wenn wir die Dynamiken verstehen, können wir sie durchbrechen. Doch dazu müssen wir bereit sein, uns ehrlich anzusehen – ohne Urteil, ohne Abwehr.
1. Gewalt erkennen
Das erste und wichtigste: Erkenne, wann du sie nutzt – gegen dich selbst, gegen andere. Das ist kein Moment der Schuldzuweisung, sondern der Bewusstwerdung. Ohne dieses Bewusstsein bleibt jede Veränderung oberflächlich.
2. Die Wurzel erkennen
Warum habe ich das gesagt? Warum habe ich so reagiert? Oft steckt Angst dahinter – Angst, nicht genug zu sein, abgelehnt zu werden, Kontrolle zu verlieren. Diese Angst zu sehen, ist der erste Schritt, sie zu überwinden.
3. Verantwortung übernehmen
Verantwortung heißt nicht Schuld. Es heißt, anzuerkennen, dass du sie auch tragen kannst – und dass du die Macht hast, sie zu verändern. Das beginnt mit kleinen Schritten: einer Entschuldigung, einer bewussten Entscheidung, einer neuen Perspektive.
4. Vertrauen kultivieren
Das Gegenteil von Gewalt ist nicht Passivität, sondern Vertrauen. Vertrauen, dass du in dir sicher bist, dass du wertvoll bist, dass andere genauso kämpfen wie du. Dieses Vertrauen verändert nicht nur dich, sondern auch die Menschen um dich herum. Es kann dir Kraft geben.
Wenn du es in dir erkennst, siehst du auch klarer im außen.
Wenn wir Gewalt lernen zu verstehen, können wir sie in anderen erkennen und uns vielleicht irgendwann von ihr lösen. Sie ist ein Ausdruck von Schmerz. Ein verzweifelter Schrei nach Aufmerksamkeit, nach Hilfe. Wenn wir auf diesen Schrei hören, wenn wir den Schmerz dahinter erkennen.
Vielleicht liest du das und denkst: Das klingt schön, aber was kann ich wirklich tun?
Jeder Moment, in dem du Gewalt in dir erkennst und bewusst anders handelst, ist ein Moment der Veränderung. Jeder Moment, in dem du dich selbst oder andere mit Mitgefühl statt mit Kritik behandelst, brichst du den Kreislauf.
Dieser Text ist kein Rezept, keine Anleitung, keine Lösung. Es ist eine Einladung. Eine Einladung, die Gewalt in dir selbst zu erkennen, sie anzunehmen und sie loszulassen. Eine Einladung, eine neue Sprache zu finden – für dich selbst, für andere, für die Welt.
Denn die Wahrheit ist: Es ist kein unveränderlicher Teil des Menschseins. Sie ist ein Werkzeug. Und wir entscheiden, ob wir es nutzen.
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