Die Gewalt gegen Frauen in Deutschland und auf der Welt ist in den letzten zehn Jahren dramatisch angestiegen. Sexualisierte Übergriffe, häusliche Gewalt, Femizide und digitale Angriffe bestimmen das Bild. Diese Taten geschehen nicht isoliert, sondern entspringen einem System, das uns bewusst und systematisch benachteiligt.
Ein Angriff auf die Freiheit aller Frauen
Sexualstraftaten gegen Frauen haben sich innerhalb eines Jahrzehnts fast verdoppelt. 2013 meldeten die Behörden 33.756 weibliche Opfer, 2023 waren es bereits 62.404. 84,82 Prozent Steigerung zeigt nicht nur den Zuwachs an Gewalt, sondern offenbart, wie tief verwurzelt patriarchale Strukturen in unserer Gesellschaft sind.
Männer handeln, weil sie es können. Und die Gesellschaft erzieht Frauen dazu, sie zu schützen, statt ihre, Grenzen zu respektieren. In diesen Strukturen greifen Täter auf die Macht zurück, die ihnen ein System gibt, das Frauen sexualisiert, kontrolliert und entmenschlicht.
Häusliche Gewalt ist allgegenwärtig
Häusliche Gewalt ist ein Angriff, der meist hinter verschlossenen Türen stattfindet. Zwischen 2013 und 2023 stieg die Zahl der erfassten Fälle um 66 Prozent – von 109.000 auf 180.700 weibliche Opfer. Diese Gewalt endet oft nicht mit körperlichen Narben. Sie zerstört das Vertrauen in Beziehungen, die eigentlich Schutz und Liebe bieten sollten.
Frauen bleiben oft in gewalttätigen Partnerschaften, weil sie ökonomisch abhängig sind oder kein Netzwerk haben, das ihnen hilft. Und ermöglicht es Frauen zu isolieren und ihrer Freiheit zu berauben. Häusliche Gewalt ist nicht nur ein individuelles Problem, sie spiegelt den Zustand einer Gesellschaft wider, die die Bedürfnisse von Frauen systematisch ignoriert.
Femizide: Die tödliche Konsequenz dieser Machtansprüchen
Frauen sterben, weil sie Frauen sind. Femizide sind das Endstadium eines Gewaltkreislaufs, der mit der Geburt beginnt. Zwischen 2013 und 2023 stieg die Zahl der getöteten Frauen um 20 Prozent. 2023 verloren mindestens 360 Frauen ihr Leben – weil sie sich den Machtansprüchen eines Mannes widersetzten zu versuchten. Trennungen und der Versuch, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, enden für viele Frauen tödlich.
Digitale Gewalt: Bedrohung in neuen Räumen
Mit der Digitalisierung finden patriarchale Strukturen neue Räume. Cyberstalking, Bedrohungen und die Verbreitung intimer Bilder treffen Frauen gezielt. Nichts neues, nur der Rahmen hat sich geändert. 2023 registrierten die Behörden 17.200 Fälle digitaler Gewalt gegen Frauen. Männer agieren jetzt in einem Umfeld, das Anonymität fördert und ihnen Straffreiheit verspricht.
Wir, die uns öffentlich äußern – sei es als Aktivistinnen, Politikerinnen oder Journalistinnen – erleben täglich Angriffe, die uns zum Schweigen bringen sollen. Die digitale Gewalt ist nicht weniger real als physische Angriffe. Sie hinterlässt Wunden, die nicht sichtbar, aber genauso tief sind.
Warum steigt die Gewalt?
Diese Entwicklungen sind keine Zufälle. Sie sind das Ergebnis eines Systems, das Frauen strukturell benachteiligt:
1. Patriarchale Erziehung: Anpassung für Frauen, Dominanz für Männer
Wir erziehen unsere Töchter, sich anzupassen, sagen ihnen, höflich zu sein, die Stimme nicht zu heben, nicht “schwierig” zu sein. Wir lehren sie, Konflikte zu vermeiden, selbst dann, wenn sie im Recht sind. Aber was sagen wir unseren Söhnen? Wir sagen: “Jungs sind eben so.” Wir lassen sie lernen, dass Dominanz normal ist. Als wäre es akzeptabel, Grenzen zu überschreiten, solange Stan gewinnt.
Eine Frau, die schweigt, hat das nicht gelernt, weil sie wollte. Sie hat es gelernt, weil jedes “Nein” zu laut, zu unbequem, zu riskant schien und jedes „Ja“ konditioniert wurde. Und ein Mann, der zuschlägt, hat das nicht nur aus Wut getan. Er hat es getan, weil er glaubt, er könne es und es würde ihm entschuldigt.
2. Ökonomische Abhängigkeit: Gefangen in unsichtbaren Ketten
Stell dir eine Frau vor, die in der Küche steht und die Wut hinter verschlossenen Türen erträgt. Sie will gehen, aber wohin? Mit welchem Geld? Mit welchen Mitteln? Sie weiß, dass sie allein nicht genug verdient, um die Kinder zu ernähren. Sie weiß, dass niemand sie auffangen wird, wenn sie fällt. Also bleibt sie. Nicht, weil sie will, sondern weil sie muss.
Unsere Arbeitswelt belohnt uns nicht. Wir werden schlechter bezahlt, in prekären Jobs gehalten und gezwungen, den Löwenanteil der unbezahlten Care-Arbeit zu leisten. Die Gewalt, die wir ertragen, ist nicht nur die unseres Partners. Es ist die Gewalt eines Systems, das Frauen in der Abhängigkeit hält
3. Kulturelle Narrative und Archetypen: Romantisierte Gewalt, offene Wunden
Unsere Popkultur erzählt von starken Männern, die sich nehmen, was sie wollen, und von Frauen, die lieben, was sie ertragen. Filme, Serien und Bücher zeichnen das Bild der Frau, die den wütenden Mann “rettet”.
Ein Mann, der schreit, ist leidenschaftlich. Ein Mann, der eifersüchtig ist, liebt wirklich. Und der Mann, der kontrolliert, beschützt nur.
Diese Geschichten prägen uns. Sie erzählen uns, dass Gewalt Teil der Liebe ist. Erzählen Männern, dass Dominanz sexy ist. Aber was passiert, wenn die Kamera ausgeht? Was passiert, wenn die Frau nicht mehr lächelt, sondern ihre Verletzungen verbirgt? Diese Narrative sind keine Fantasie. Sie sind Anleitungen für Gewalt, versteckt als Unterhaltung. Paartherapie verstärkt das Narrativ.
4. Fehlende Strafverfolgung: Die Botschaft der Straffreiheit
Ein Täter geht nach Hause, die Opfer bleiben mit Scham zurück. Eine Frau zeigt an, was sie ertragen musste, und wird gefragt: “Was hatten Sie an?” Ein Mann vergewaltigt, und die Schlagzeile fragt nach seiner Zukunft – Cancel Culture. Eine Frau wird getötet, und die Nachbarn sagen: “Wir haben nichts bemerkt.”
Straffreiheit ist keine Abwesenheit von Strafe. Sie ist eine Botschaft. Sie sagt: “Frauenleben zählen weniger.” Jedes Urteil, das Täter verschont, verstärkt diese Botschaft. Jedes Schweigen von Polizei und Justiz sendet die gleiche Botschaft: “Täter dürfen weitermachen. Frauen müssen leben lernen.”
Diese Strukturen sind keine abstrakten Konzepte. Sie sind die Geschichten von Millionen Frauen. Sie sind die Stimmen, die unterdrückt wurden, die Körper, die verletzt wurden, die Leben, die ausgelöscht wurden. Wir dürfen diese Mechanismen nicht nur analysieren. Wir müssen sie fühlen, sie sehen und hören, als würden sie uns selbst betreffen. Denn das tun sie.
Wir sind mehr als diese Zahlen
Gewalt gegen Frauen ist nicht unvermeidlich. Sie ist gemacht, erlernt und absichtlich am Leben gehalten. Wir können diese Strukturen verändern, indem wir sie erkennen und gemeinsam angreifen. Die Verantwortung darf nicht auf Frauen abgewälzt werden. Und endlich beginnen, Männer und das System, das sie schützt, in die Pflicht nehmen.
Wir erziehen, pflegen, leisten unbezahlte Arbeit und kämpfen für Gleichheit. Wir stehen nicht nur in blauen Mänteln, sondern auch in Alltagskleidern, Berufsuniformen und Yogahosen für die Rechte unserer Schwestern. Diese Kämpfe führen wir für uns, für unsere Töchter und für eine Zukunft, in der Gewalt gegen Frauen keine Statistik mehr ist, sondern Geschichte.
[…] Gewalt gegen Frauen ist eines der drängendsten Probleme unserer Zeit. Die täglichen Nachrichten über die steigende Gewalt ist schwer ertragbar und lässt mich in einsamen Gedanken zurück, deshalb suche ich hier Erleichterung: Nicht jede Gewalt hat offene Wunden oder hinterlässt blaue Flecken. Viel subtiler und stiller, trifft uns Mikrogewalt. Sie ist leise, versteckt sich in Worten, Blicken und Gesten – und doch ist sie allgegenwärtig. Sie ist das unsichtbare Fundament, auf dem ebenso patriarchale Strukturen ruhen. Und manchmal tragen wir selbst dazu bei. […]
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