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Paartherapie: Moderne Lobotomie oder teureres Frauengold?

Es beginnt mit dem leisen Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Konflikte wiederholen sich, der Alltag fühlt sich schwer an, und irgendwann steht die Frage im Raum: Sollten wir in Paartherapie gehen? Eine Frage, die viele Frauen stellen, während sie bereits tief in der emotionalen Arbeit stecken, die eine Beziehung am Laufen hält.

Doch was, wenn die Paartherapie nicht die erhoffte Rettung, sondern nur ein weiteres Produkt des patriarchalen Systems ist? Ein moderner Versuch, Wunden zu übertünchen, statt sie zu heilen. Was, wenn sie die Symptome von Ungleichheit mildert, anstatt die Ursachen zu beseitigen?

Die emotionale Arbeit bleibt: Der Mental Load der Frauen

Wer sitzt häufiger in der Praxis von Paartherapeut:innen? Es sind oft Frauen, die ihren Partner mitziehen – wenn er überhaupt mitkommt. Frauen, die sich mehr Kommunikation wünschen, eine größere emotionale Präsenz, echte Gleichberechtigung. Frauen, die die Last tragen, die Beziehung zu “retten”, weil es nach wie vor an ihnen liegt, das emotionale Fundament zu sichern.

Statistiken zeigen deutlich: Frauen nehmen doppelt so häufig Psychotherapie in Anspruch wie Männer. Rund zwei Drittel der Patient:innen sind Frauen, während Männer nur ein Drittel ausmachen (Springer Medizin). Dieses Ungleichgewicht spiegelt nicht nur eine höhere Bereitschaft von Frauen wider, Hilfe zu suchen, sondern auch die gesellschaftliche Erwartung, dass Frauen für emotionale Stabilität in Beziehungen verantwortlich sind.

Zusätzlich wird der Unterschied in der Care-Arbeit deutlich: Frauen leisten durchschnittlich 44,3 % mehr unbezahlte emotionale und häusliche Arbeit als Männer (Bundesstiftung Gleichstellung). Diese Ungleichverteilung führt zu einer massiven Belastung, die oft nicht ausreichend thematisiert wird – auch nicht in der Paartherapie.

Therapie als moderne Lobotomie

„Modernen Lobotomie” drängt sich auf, wenn Paartherapie den Fokus darauf legt, Konflikte zu “managen”, statt die Ursache zu hinterfragen. Es ist, als würde das Beziehungsproblem chirurgisch isoliert, ohne die sozialen und strukturellen Rahmenbedingungen zu beachten.

Wir lernen, unsere Wut oder Frustration “besser zu regulieren” – jene Wut, die entsteht, wenn unsere Bedürfnisse ignoriert oder unsere Grenzen immer wieder überschritten werden. Die Struktur bleibt unangetastet, während die Symptome gemildert werden sollen. Männer hingegen werden selten dazu ermutigt, ihre Machtpositionen und Privilegien zu hinterfragen, die aus unserer patriarchalen Gesellschaft resultieren.

Das teurere Frauengold

Paartherapie als teureres Frauengold. “Frauengold”, das berüchtigte Tonikum aus den 1950er Jahren, versprach erschöpften Frauen neue Kraft, ohne die Ursachen ihrer Überlastung zu hinterfragen. Es war kein Heilmittel, sondern ein Placebo – ein teures Beruhigungsmittel.

Ähnlich kann Paartherapie wirken, wenn sie darauf abzielt, uns zu “helfen”, uns in einer belastenden Beziehung besser anzupassen, anstatt die zugrundeliegenden Machtstrukturen zu verändern. Sie wird zu einem Werkzeug, das uns noch mehr Verantwortung für das Funktionieren der Beziehung überträgt – während Männer häufig nur minimale Veränderungen leisten.

Was also tun? Paartherapie ist nicht per se schlecht. Sie kann ein wertvolles Werkzeug sein – wenn sie sich ihrer eigenen Grenzen bewusst werden würde und bereit wäre, Machtstrukturen sowie gesellschaftliche Prägungen offen zu hinterfragen. Doch sie ist kein Allheilmittel. Sie wird nie die systemischen Rahmenbedingungen ändern, die Frauen in unsichtbare Beziehungsarbeit drängen.

Wir sollten uns fragen: Was will ich wirklich von einer Beziehung? Und bin ich bereit, die unbequemen Wahrheiten zu sehen? Es ist nicht deine Aufgabe, alles zu reparieren. Es ist nicht deine Aufgabe, in einer Beziehung zu bleiben, die dich müde macht.

Die wahre Heilung beginnt, wenn wir den Mut haben, die Strukturen zu sehen, die uns in die Knie zwingen, und uns weigern, die Verantwortung allein zu tragen.

Für uns, für unsere Töchter

Wenn wir diese Gespräche führen, tun wir es nicht nur für uns. Wir tun es für die nächste Generation von Frauen, die keine emotionale Arbeit als Selbstverständlichkeit tragen soll. Wir tun es für unsere Töchter, damit sie wissen: Es gibt Wege, zu lieben, ohne sich selbst dabei zu verlieren.

Paartherapie kann ein Anfang sein – aber echte Gleichberechtigung beginnt dort, wo wir aufhören, uns mit oberflächlichen Lösungen zufriedenzugeben.

Springer Medizin: Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Psychotherapie

Bundesstiftung Gleichstellung: Care-Arbeit und Gleichstellung

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