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Von kleinen Müttern und ewigen Kindern

Von Geburt an beginnen wir, Kinder zu formen. Es sind die kleinsten Handlungen, die unschuldig wirken – den Busen, ein Schnuller, ein Spielzeug, ein Lob – und doch tiefgreifende Muster schaffen. Muster, die nicht nur ihr Verhalten prägen, sondern auch die gesamte Struktur unserer Gesellschaft spiegeln. In der Ausbildung zur Erzieherin bin ich mit der klassischen Konditionierung nach Pawlow in Kontakt gekommen und wie wir Kinder schon in den ersten Jahren ihres Lebens auf geschlechtsspezifische Rollen vorbereiten. Rollen, die Frauen zu Müttern formen und Männer in eine infantile Position zwingen. Lass uns diesen Gedanken erkunden – von den ersten Konditionierungen bis zu den tragischen Konsequenzen, die uns heute als Gesellschaft betreffen.

Der Schnuller und die Konditionierung

Während ich neben meiner 5-Monate alten Tochter im Bett liege, stelle ich mir eine zuerst abwegige Frage: Kann der Schnuller als Symbol für Konsum verstanden werden? Babys lernen, durch ihn Beruhigung zu finden – ein externes Objekt (greift hier schon wieder der Locus of Control?) stillt innere Unruhe. Dieses Muster erinnert mich an die klassische Pawlowsche Konditionierung und seinen Hund, von der ich während der Erzieherausbildung gelernt habe: Ein Reiz (der Schnuller) wird mit Beruhigung verknüpft, bis das Kind lernt, seine Emotionen über dieses Objekt zu regulieren. Doch je tiefer ich in den Gedanken eintauche, desto klarer wird mir, dass es nicht nur um Konsum geht. Es geht um Rollen. Wer tröstet später, wenn der Schnuller nicht mehr da ist? Die Antwort ist fast immer: Frauen.

Der Schnuller als Symbol verschiebt sich. Männer behalten ihn in Form von Frauen, die ihre emotionalen Bedürfnisse erfüllen, während wir gezwungen sind, ihn wegzulegen und Verantwortung zu übernehmen. Aber warum? Wie kommt es, dass wir immer wieder in diese Rolle gedrängt werden – als Mütter, nicht nur für Kinder, sondern auch für unseren Partner? Hier setze ich mit der Analyse an.

Die frühe Konditionierung: Mädchen werden zu kleinen Müttern

Schon als Kinder werden Mädchen anders behandelt als Jungen. Während Jungen Autos, Bauklötze und Abenteuerwelten erkunden, bekommen Mädchen Puppen, Mini-Küchen und Babyspielzeug. Sie lernen früh, sich um andere zu kümmern, Bedürfnisse zu erkennen und sich anzupassen. Jungen hingegen erleben, dass ihre Umwelt sich an sie anpasst – Eltern räumen ihre Bauklötze weg, Geschwister tolerieren ihr „wildes“ Verhalten.

Wenn ein Junge wütend ist, wird seine Frustration akzeptiert oder rationalisiert („Er hat einfach viel Energie!“). Ein wütendes Mädchen hingegen wird oft zur Beruhigung aufgefordert, manchmal mit Sätzen wie „Nicht weinen, lächel doch mal.“ Von klein auf lernen Mädchen, ihre Emotionen zu kontrollieren und gleichzeitig die der anderen zu regulieren.

Mädchen wird subtil vermittelt, dass sie für die Harmonie verantwortlich sind. Sei es durch die Pflege einer Puppe oder durch Aufgaben im Haushalt, sie lernen, dass die Bedürfnisse anderer Vorrang vor ihren eigenen haben.

Männer bleiben in der Kindheit, sie sind das Innere-Kind

Während Mädchen früh lernen, Verantwortung zu übernehmen, dürfen Jungen oft länger Kinder bleiben. Viele Jungen lernennicht, ihre eigenen Emotionen zu regulieren. Es wird ihnen beigebracht, diese zu unterdrücken oder in Aggression umzuwandeln. Sie werden nicht ermutigt, ihre Gefühle zu verbalisieren oder Strategien zur Selbstregulation zu entwickeln. Stattdessen wird ihnen implizit vermittelt, dass ihre Bedürfnisse von außen – meist durch uns Frauen – erfüllt werden müssen.

In unserer Gesellschaft wird von Jungen und Männern weniger – the bare minimum – erwartet, im Haushalt mitzuhelfen oder Verantwortung für andere zu übernehmen. Sie sehen oft Männer in der Familie oder im Fernsehen, die versorgt werden, während Frauen die Pflegearbeit leisten. Dieses Bild wird verinnerlicht: Männer konsumieren Unterstützung, Frauen geben sie.

Jungen dürfen oft „Jungs sein“ – sie dürfen unordentlich sein, Regeln brechen oder unkonzentriert sein, ohne dafür dieselben Konsequenzen zu spüren wie Mädchen. Später im Leben führt dies dazu, dass viele Männer Schwierigkeiten haben, eigenverantwortlich zu handeln oder emotionale Reife zu entwickeln.

Die Folgen für Uns: Mütter für alle

Durch diese Konditionierung werden wir zu „Müttern für alle“. Wir übernehmen emotionale Arbeit nicht nur in romantischen Beziehungen, sondern auch in Familien, Freundschaften und am Arbeitsplatz. Wir trösten, moderieren Konflikte, antizipieren die Bedürfnisse anderer – oft auf Kosten unserer eigenen Bedürfnisse. Verbringen unzählige Stunden damit, Beziehungen zu pflegen, an Geburtstage zu erinnern oder Konflikte zu lösen. Diese Arbeit wird selten gesehen oder anerkannt, geschweige denn belohnt. Zu all dem, fallen wir in die Rolle, unseren Partner „zu erziehen“, emotionale Unterstützung zu bieten oder Verantwortung für die Beziehung zu übernehmen. Dies führt nicht nur zu Ungleichheiten, sondern kann auch emotional erschöpfend sein.

Und während Männer sich auf ihre Karriere konzentrieren können, übernehmen wir die unbezahlte Pflegearbeit – sei es für Kinder, ältere Verwandte oder sogar Kollegen. Das hält uns von beruflichen Chancen ab und verstärkt finanzielle Ungleichheiten.

Die Folgen für Männer: Verlorene Reife

Die Konditionierung hat auch für Männer negative Konsequenzen. Obwohl sie Privilegien genießen, verlieren sie oft die Fähigkeit, tiefe und reife Beziehungen zu führen. Da sie nicht lernen, ihre Gefühle zu erkennen und zu äußern, haben sie Schwierigkeiten, emotionale Nähe herzustellen. Das führt zu Einsamkeit und zu höheren Raten an psychischen Erkrankungen.

Männer, die nie gelernt haben, sich um sich selbst zu kümmern, werden oft von Frauen abhängig – emotional und organisatorisch. Es kann Beziehungen belasten und uns Frauen in die Rolle der „Pflegekraft“ drängen. Von der Organisation des Haushalts bis zur Pflege sozialer Kontakte – Männer, die in ihrer Kindheit keine Verantwortung übernehmen mussten, stehen oft unvorbereitet im Erwachsenenleben.

Der Weg nach vorn: Wie wir die Muster durchbrechen können

Es ist möglich, diese Muster zu verändern, aber 🤡 es erfordert bewusste Anstrengungen – sowohl individuell als auch gesellschaftlich.

1. Geschlechtsneutrale Erziehung: Eltern und Erzieher:innen können darauf achten, Kindern gleiche Möglichkeiten zu bieten, ihre Fähigkeiten und Interessen zu entwickeln. Jungen sollten ebenso für emotionale Arbeit gelobt werden wie Mädchen für Durchsetzungsfähigkeit.

2. Früh Verantwortung fördern: Kindern sollten unabhängig vom Geschlecht altersgerechte Verantwortungen übertragen werden – von der Pflege eines Haustiers bis zur Mithilfe im Haushalt.

3. Emotionale Intelligenz stärken: Jungen sollten ermutigt werden, ihre Gefühle auszudrücken und zu reflektieren. Dies kann durch Gespräche, Rollenspiele oder Vorbilder geschehen, die emotionale Offenheit vorleben.

4. Beziehungsarbeit sichtbar machen: Frauen sollten lernen, emotionale Arbeit zu delegieren und Grenzen zu setzen. Gleichzeitig müssen Männer für die Unsichtbarkeit dieser Arbeit sensibilisiert werden.

5. Gesellschaftliche Strukturen ändern: Politiken wie bezahlte Elternzeit für beide Elternteile oder Programme zur Förderung von Männern in Care-Berufen können helfen, die Lasten gerechter zu verteilen.

Die Dynamik, die uns zu Müttern für alle macht und Männer in einer kindlichen Rolle hält, schadet uns allen – als Individuen und als Gesellschaft. Der Weg zu Gleichberechtigung beginnt bei den kleinsten Dingen: einem Schnuller, einer Puppe, einem Gespräch. Die Veränderung mag klein beginnen, doch sie hat das Potenzial, unser gesellschaftliches Fundament neu zu formen.

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