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White Mirror – Eine feministische Reflexion

In den letzten Wochen habe ich mich tiefer mit TikTok befasst, wie Marx einmal beschrieben hat, den Fortschritt zur Verknüpfung Gleichgesinnter zu nutzen, und bin dabei auf ein Live-Video zweier kluger, motivierender Frauen gestoßen. Es war ein Gespräch über Feminismus, Gewalt gegen Frauen und das Patriarchat. Der Raum war gefüllt mit Energie und Mut, und ich fühlte mich plötzlich in einem Kollektiv wieder, das diese Themen nicht nur sichtbar macht, sondern auch die alten Weisheiten dahinter offenlegt. Themen, die das Menschsein in seiner Tiefe berühren. Ein magischer Frauenzirkel voller Hexen. Die von Männern für ihre Ambitionen verachtet werden – die sie früher verbrannt hätten.

Hexenverfolgung

Im Laufe des Gesprächs änderte sich die Dynamik. Die Diskussion verlagerte sich vom Äußeren ins Innere: Yoga, Breathwork, spirituelle Reisen nach Bali und die Idee, dass nicht alle Männer “so” seien. Es folgte die Verteidigung der eigenen, feministisch gesinnten Freunde – die besseren Männer. Wie auch Frauen “selbst schuld” seien, wenn sie immer wieder in die gleichen destruktiven Muster fallen. Ein “Broke Girl” zu sein, sei schließlich auch eine Entscheidung.

Diese beiläufigen Aussagen hielten mich fest. Meine Schultern verkrampften sich, und ich blieb wie gebannt am Bildschirm kleben, bis der Live Talk zu Ende war. Weil ich weiß, wie wichtig genau diese Momente innerhalb von Frauengruppen sind – ich wusste dass, hier etwas Tiefes in mir berührt wurde. 15 Stunden lang war ich jedoch weiter befangen in dieser inneren Spannung, die Schultern nach oben zusammen gezogen, bis ich schließlich in Tränen ausbrach und die Anspannung sich endlich auflöste.

Mein White Mirror 🪞

Was war das? Eine Art Erleuchtung, ein Samadhi-Moment, wie man es zB im Yoga nennen würden? Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitz, als ich merkte: es war nicht der Inhalt des Gesprächs, der mich so tief bewegte, sondern mein eigenes Spiegelbild darin, nur eben Broke. Meine Güte, vergöttere ich diese Creatorinnen – diese Vorbilder!

Ich hatte mich nicht über die Aussagen dieser Frauen geärgert. Nein, mein Ärger war gegen mich selbst gerichtet. Diese Frauen, so wunderschön, gesund und erfolgreich, hatten mir meinen eigenen inneren Konflikt vor Augen geführt. Ich sah mich selbst in ihnen, ich sah mein Potential in ihrem Dasein, aber woher dieser Neid?

Da saß sie also, meine “White Mirror” – die weiße, wunderschöne Yogalehrerin, die sieben Tage die Woche arbeitet, mental vollkommen gesund ist und eine super Familie, sowie einen ausschließlich feministischen Freundeskreis hat. Und dazu noch meine Rechte verteidigt! Ein Archetyp nach Carl Gustav Jung beschrieben, die fürsorgliche Heldin, alles, was ich selbst sein wollte.
Und endlich erkenne ich: In meinem Streben nach all diesen Idealen habe ich mich selbst verloren.

Ich war dabei, genau das zu verkörpern, wogegen ich mich zu wehren glaubte. Und doch strebte ich genau nach den Dingen, die das patriarchale System so sehr ehrt: Konkurrenz und Neid. Den externen Locus of Control verstärkend.

Das führt mich zu einer entscheidenden Erkenntnis

Wie tief ich in diese Strukturen verstrickt bin, wird mir mir während dem Schreiben meiner Gedanken, mit brutaler Klarheit bewusst und führt mich zu dem Punkt, meine Gedanken zu teilen. Ich habe, nach dem Existenzialismus beschrieben, meine Rolle in diesem Patriarchat erkannt.

Ich wollte eine perfekte Frau sein, eine perfekte Mutter, die dem System zwei Kinder geboren hat, eine Ehefrau, eine perfekte Freundin für meine Freunde und die Tochter die glanzvoll hervorgeht. Die perfekte Yogalehrerin. Ich wollte alles haben: Yoga-Retreats, erfolgreiche Karriere, gesunde Familie, feministische Freunde – und das alles, ohne die Auswirkungen meiner Traumata und den offenen Fesseln, an die ich mich klammerten. Und in meinem Bestreben, die beste Version einer Frau zu sein, spiele ich dem System direkt in die Hände.

Neid und Konkurrenz. Eine Art Hobby, das uns Frauen vom Patriarchat zugestanden wurde, weil es genau wusste, dass die eigene Entfremdung, die Alterität, den Rest regelt. Es ist, als hätte man uns einen Platz im Spiel zugestanden – solange wir die Regeln befolgen. Eine einzige Figur auf dem Schachbrett des Lebens ziehen zu dürfen, während Männer die anderen ziehen dürfen.

Ich spüre die Zerrissenheit, die Platon in seinem Höhlengleichnis beschreibt. Ich will raus aus dieser Höhle, raus aus den Fesseln des Patriarchats, die ich mir selbst auferlegt habe. Aber wie oft kehre ich freiwillig zurück in die Dunkelheit, um mich der alten Ordnung zu unterwerfen?

Hexenwunde

Dieses Erlebnis hat mir auch die Bedeutung der “Hexenwunde” in einem neuen Licht gezeigt. Diese Frauen, mit ihrer Kraft und ihrem Wissen, haben in mir genau jene Wunden berührt, die tief in das kollektive Gedächtnis der Frauen eingebrannt sind. Es ist die Angst vor dem Ausschluss, vor dem Verurteiltwerden – dieselbe Angst, die einst Frauen zu Opfern der Hexenverfolgung machte. Doch anstatt in den alten Mustern des Neids und der Konkurrenz zu verharren, haben diese Frauen gezeigt, dass Heilung möglich ist, wenn wir uns trauen, uns zu öffnen und einander zuzuhören. Ihre Stimmen und ihre Stärke sind ein Gegenmittel gegen diese alte Wunde, denn sie schaffen Räume, in denen wir uns gegenseitig unterstützen, statt zu entzweien. Dadurch hat sich meine Dankbarkeit für ihre Arbeit und ihre Präsenz nur verstärkt – weil sie nicht nur für sich selbst sprechen, sondern für uns alle, die wir noch immer diese tiefen, unsichtbaren Narben des Patriarchats in uns tragen. In Verbindung mit ihnen zu sein, fühlt sich wie ein Teil dieses Heilungsprozesses an – ein Schritt auf dem Weg, die Hexenwunde zu überwinden und uns gemeinsam zu ermächtigen.

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