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Zeit

Ich sitze auf dem Balkon, die Luft ist kühl, es regnet und ich bin einfach, während ich denke, schreibe, fühle und lausche. Alles ist davon erfüllt. Im Haus höre ich das Ticken der Uhr aus der Küche. Es hallt zu mir herüber, so eindringlich, dass ich innerlich zusammenzucke. Dieses stetige Ticken, das unsere Tage zerlegt, sie in kleine Scheiben schneidet – Sekunden, Minuten, Stunden – macht mich verrückt. Ich kann es nicht ertragen, diese unaufhörliche Erinnerung daran, dass Zeit verrinnt. Also stehe ich auf, gehe hinein und nehme die Batterie heraus. Stille.

Für einen Moment fühle ich mich frei. Doch die Freiheit hält nicht lange. Ich weiß, dass ich mich dem Diktat der Uhr nicht völlig entziehen kann. Meine älteste Tochter muss pünktlich zur Schule, mein Mann muss zur Arbeit, und all das lässt sich nicht einfach nach Sonnenauf- und Sonnenuntergang organisieren. Diese Strukturen sind da, sie bestimmen den Takt unseres Alltags. Und ich? Ich füge mich, so gut ich kann.

Tagsüber richte ich mich notgedrungen nach dem Ticken der Uhr, denn die Zeit treibt mich voran. Doch in diesen Momenten, wenn die Anforderungen erfüllt sind, wenn die Schule, die Arbeit, die Pflichten für einen Moment ruhen – dann versuche ich, den Takt der Uhr zu vergessen. Dann höre ich auf meinen eigenen Rhythmus, auf die Rhythmen meiner Familie. Mein kleines Baby, das noch nach seinem eigenen, unverfälschten Zeitgefühl lebt, gibt mir dabei eine Richtung. Die zwei Stunden Schlaf, die zwei Stunden Stillen – das sind unsere Einheiten. Kein Zwang, kein Takt, nur ein sanftes Fließen.

Ich orientiere mich an diesen Zyklen. Mein Baby schläft, und ich atme durch. Es erwacht, und wir folgen gemeinsam diesem Rhythmus, der so viel natürlicher ist als das hektische Tempo der Welt um uns herum. In diesen Momenten vergesse ich die Zeit, so wie sie von Menschen definiert wurde. Ich vergesse die Hektik der Termine und Verpflichtungen, die uns wie ein unsichtbares Netz umgarnen.

An den Wochenenden und in den Ferien, wenn Schule und Arbeit keine Rolle spielen, lasse ich alles los. Dann richte ich mich nach den Mondphasen, nach den Sonnenstunden. Ich lasse die Tage einfach geschehen, beobachte, wie das Licht sich verändert, wie die Farben des Himmels wechseln, wie die Schatten wandern. Ich folge den Rhythmen der Natur, und alles fühlt sich leichter an, freier, echter.

Doch sobald der Montag wieder naht, kehren wir zurück in die getaktete Welt. Die Uhr, die mich durch die Woche peitscht, die Zeit, die uns wie eine Peitsche vorantreibt. Ich frage mich oft, warum wir uns so sehr an diese künstlichen Einteilungen klammern. Warum messen wir alles, warum kontrollieren wir alles? Was haben wir dabei verloren?

Vielleicht ist es das, was mich krank macht, diese ständige, gnadenlose Zerteilung unserer Leben in kleine Einheiten, diese Anmaßung, dass wir Zeit kontrollieren könnten. Aber wir können es nicht, und das wissen wir. Die Zeit fließt, egal, wie viele Uhren wir aufstellen, egal, wie sehr wir versuchen, sie zu fassen. Sie fließt einfach, wie ein Fluss, und wir können uns nur entscheiden, ob wir gegen den Strom schwimmen oder uns treiben lassen.

Ich weiß, dass ich die Uhrzeit brauche, um im Alltag zu funktionieren. Ich weiß, dass ich sie nicht vollständig ignorieren kann. Aber ich will ihr nicht erlauben, mein Leben zu bestimmen. Ich will mich so oft wie möglich an die Rhythmen erinnern, die wirklich zählen: die Rhythmen meines Körpers, meiner Familie, der Natur um mich herum.

Am Ende bleibt mir nur, beides zu verbinden, so gut ich kann. Ich nutze die Uhrzeit, um meine Tochter zur Schule zu bringen, meinen Mann zur Arbeit zu schicken, und mich selbst zu erinnern, wann der nächste Termin ansteht. Aber in den Momenten dazwischen, in den Pausen, wenn die Sonne durch die Wolken bricht oder der Mond am Himmel steht, lasse ich die Zeit los. Dann gehöre ich wieder mir selbst.

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